Hans Sachsens poetische Sendung
In seiner Werkstatt sonntags früh
Steht unser teurer Meister hie:
Sein schmutzig Schurzfell abgelegt,
Einen saubern Feierwams er trägt,
Läßt Pechdraht, Hammer und Kneipe rasten,
Die Ahl steckt an dem Arbeitskasten;
Er ruht nun auch am siebten Tag
Von manchem Zug und manchem Schlag.
Wie er die Frühlingssonne spürt,
Die Ruh ihm neue Arbeit gebiert:
Er fühlt, daß er eine kleine Welt
In seinem Gehirne brütend hält,
Daß die fängt an zu wirken und leben,
Daß er sie gerne möcht von sich geben.
Er hätt ein Auge treu und klug
Und wär auch liebevoll genug,
Zu schauen manches klar und rein
Und wieder alles zu machen sein;
Hätt auch eine Zunge, die sich ergoß
Und leicht und fein in Worte floß.
Des täten die Musen sich erfreun,
Wollten ihn zum Meistersänger weihn.
Da tritt herein ein junges Weib,
Mit voller Brust und rundem Leib,
Kräftig sie auf den Füßen steht,
Grad, edel vor sich hin sie geht,
Ohne mit Schlepp und Steiß zu schwänzen
Oder mit den Augen herum zu scharlenzen.
Sie trägt einen Maßstab in ihrer Hand,
Ihr Gürtel ist ein gülden Band,
Hätt auf dem Haupt einen Kornährkranz,
Ihr Auge war lichten Tages Glanz;
Man nennt sie Tätig-, Ehrbarkeit,
Sonst auch Großmut, Rechtfertigkeit.
Die tritt mit gutem Gruß herein;
Er drob nicht mag verwundert sein,
Denn wie sie ist, so gut und schön,
Meint er, er hätt sie lang gesehn.
Die spricht: „Ich habe dich auserlesen
Vor vielen in dem Weltwirrwesen,
Daß du sollst haben klare Sinnen,
Nichts Ungeschicklichs magst beginnen.
Wenn andre durcheinanderrennen,
Sollst du’s mit treuem Blick erkennen;
Wenn andre bärmlich sich beklagen,
Sollst schwankweis deine Sach fürtragen;
Sollst halten über Ehr und Recht,
In allem Ding sein schlicht und schlecht,
Frummkeit und Tugend bieder preisen,
Das Böse mit seinem Namen heißen.
Nichts verlindert und nichts verwitzelt,
Nichts verzierlicht und nichts verkritzelt;
Sondern die Welt soll vor dir stehn,
Wie Albrecht Dürer sie hat gesehn:
Ihr festes Leben und Männlichkeit,
Ihre innre Kraft und Ständigkeit.
Der Naturgenius an der Hand
Soll dich führen durch alle Land,
Soll dir zeigen alles Leben,
Der Menschen wunderliches Weben,
Ihr Wirren, Suchen, Stoßen und Treiben,
Schieben, Reißen, Drängen und Reiben,
Wie kunterbunt die Wirtschaft tollert,
Der Ameishauf durcheinanderkollert;
Mag dir aber bei allem geschehn,
Als tätst in einen Zauberkasten sehn.
Schreib das dem Menschenvolk auf Erden,
Ob’s ihm möcht eine Witzung werden.“
Da macht sie ihm ein Fenster auf,
Zeigt ihm draußen viel bunten Hauf,
Unter dem Himmel allerlei Wesen,
Wie ihr’s mögt in seinen Schriften lesen.
Wie nun der liebe Meister sich
An der Natur freut wunniglich,
Da seht ihr an der andern Seiten
Ein altes Weiblein zu ihm gleiten:
Man nennet sie Historia,
Mythologia, Fabula;
Sie schleppt mit keichend-wankenden Schritten
Ein‘ große Tafel, in Holz geschnitten;
Darauf seht ihr mit weiten Ärmeln und Falten
Gottvater Kinderlehre halten,
Adam, Eva, Paradies und Schlang,
Sodom und Gomorrhas Untergang,
Könnt auch die zwölf durchlauchtigen Frauen
Da in einem Ehrenspiegel schauen;
Dann allerlei Blutdurst, Frevel und Mord,
Der zwölf Tyrannen Schandenport;
Auch allerlei Lehr und gute Weis,
Könnt sehn Sankt Peter mit der Geiß,
Über der Welt Regiment unzufrieden,
Von unserm Herrn zurechtbeschieden.
Auch war bemalt der weite Raum
Ihres Kleids und Schlepps und auch der Saum
Mit weltlich Tugend – und Lastergeschicht.
Unser Meister das all ersicht
Und freut sich dessen wundersam,
Denn es dient wohl in seinen Kram.
Von wannen er sich eignet sehr
Gut Exempel und gute Lehr,
Erzählt das eben fix und treu,
Als wär er selbst gesyn dabei.
Sein Geist war ganz dahin gebannt,
Er hätt kein Auge davon verwandt,
Hätt er nicht hinter seinem Rucken
Hören mit Klappern und Schellen spucken.
Da tät er einen Narren spüren
Mit Bocks – und Affensprüng hofieren
Und ihm mit Schwank und Narreteiden
Ein lustig Zwischenspiel bereiten.
Schleppt hinter sich an einer Leinen
Alle Narren, groß‘ und kleinen,
Dick und hager, gestreckt und krumb,
Allzu witzig und allzu dumb.
Mit einem großen Farrenschwanz
Regiert er sie wie ein‘ Affentanz;
Bespöttet eines jeden Fürm,
Treibt sie ins Bad, schneidt ihnen die Würm
Und führt gar bitter viel Beschwerden,
Daß ihrer doch nicht wollen wen’ger werden.
Wie er sich sieht so um und um,
Kehrt ihm das fast den Kopf herum;
Wie er wollt Worte zu allem finden,
Wie er möcht soviel Schwall verbinden,
Wie er möcht immer mutig bleiben,
So fort zu singen und zu schreiben?
Da steigt auf einer Wolke Saum
Herein zu ’s Oberfensters Raum
Die Muse, heilig anzuschauen
Wie ein Bild unsrer Lieben Frauen.
Die umgibt ihn mit ihrer Klarheit
Immer kräftig würkender Wahrheit.
Sie spricht: „Ich komm, um dich zu weihn,
Nimm meinen Segen und Gedeihn!
Ein heilig Feuer, das in dir ruht,
Schlag aus in hohe, lichte Glut!
Doch daß das Leben, das dich treibt,
Immer bei holden Kräften bleibt,
Hab ich deinem innern Wesen
Nahrung und Balsam auserlesen,
Daß deine Seel sei wonnereich,
Einer Knospe im Taue gleich.“
Da zeigt sie ihm hinter seinem Haus
Heimlich zur Hintertür hinaus
In dem eng umzäunten Garten
Ein holdes Mägdlein sitzend warten
Am Bächlein, beim Holunderstrauch;
Mit abgesenktem Haupt und Aug,
Sitzt unter einem Apfelbaum
Und spürt die Welt rings um sich kaum,
Hat Rosen in ihren Schoß gepflückt
Und bindet ein Kränzlein sehr geschickt,
Mit hellen Knospen und Blättern drein.
Für wen mag wohl das Kränzel sein?
So sitzt sie in sich selbst geneigt,
In Hoffnungsfülle ihr Busen steigt,
Ihr Wesen ist so ahndevoll,
Weiß nicht, was sie sich wünschen soll,
Und unter vieler Grillen Lauf
Steigt wohl einmal ein Seufzer auf.
Warum ist deine Stirn so trüb?
Das, was dich dränget, süße Lieb,
Ist volle Wonn und Seligkeit,
Die dir in einem ist bereit,
Der manches Schicksal wirrevoll
An deinem Auge sich lindern soll,
Der durch manch wunniglichen Kuß
Wiedergeboren werden muß;
Wie er den schlanken Leib umfaßt,
Von aller Mühe findet Rast,
Wie er ins liebe Ärmlein sinkt,
Neue Lebenstag‘ und Kräfte trinkt;
Und dir kehrt neues Jugendglück,
Deine Schalkheit kehret dir zurück.
Mit Necken und manchen Schelmereien
Wirst ihn bald nagen, bald erfreuen.
So wird die Liebe nimmer alt
Und wird der Dichter nimmer kalt!