Gedichte Ein Spatziergang in Paris

Es war ein sommerschöner Frühlingstag,
Und frühe schon verließ ich mein Gemach,
Mit Wonne trank ich die durchglühte Luft
Und eines Veilchenstraußes lauen Duft,
Den auf dem Boulevard mir, jung und roth,
Als ich vorüberstrich, ein Mädchen bot.

Und als ich weiter ging, und fern und nah‘
Das frische Leben sich entbinden sah,
Im Lied der Vögel, in der Sonne Licht,
Und in der Menschen frohem Angesicht,
Das Alles spiegelt, was zu Leid und Lust
Sich still-geheim gebiert in tiefster Brust:

Da ward in mir das Innerste gelös’t,
Des Wesens Kern und Wurzel, wie entblößt,
Und was in mir nicht leuchtet und nicht klingt,
Weil es in and’rer Form zum Dasein dringt,
Das leuchtete und klang, es rann in Eins
Mit Stral und Ton zur Fülle neuen Seins.

Ich lebte ganz: der ew’gen Kräfte Strom
Zog hin durch mich, durch’s Engste, durch’s Atom,
Ich wurde aus dem Ring, der mich umengt,
In’s Unermeßliche hinausgedrängt,
Ich fühlte, was ich sein kann, was ich bin,
Und gab, wie gern, für Jenes Dieß dahin.

Das trieb aus mir den Tod auf ewig aus,
Es ist ein Tausch, wie machte der mir Graus!
Wer je geahnt, was Alles in ihm starb,
Als er die letzte spröde Form erwarb,
Der schaudert nicht, wenn sie zerspringt, er weiß:
Nun tritt die Kraft nur in ein neues Reis.

Der Mittag kam, und weil es Longchamp war,
So schloß ich mich an die geputzte Schaar,
Die sich ergießt durch’s Elysä’sche Feld
An diesem Ostertag der schönen Welt,
Wo zwar noch Christus nicht, doch, heiß erfleht,
Schon die Pariser Mode aufersteht.

Ein putz’ger Anblick! Hier der Obelisk,
Der einst, umrauscht von Palm‘ und Tamarisk,
Sesostris grüßte; voll granit’nen Hohns
Der Siegesbogen dort Napoleons,
Und in der Mitte hin und her, im Staat,
Was sich ein neues Kleid erobert hat!

Wie glücklich ist ein distinguirter Mann!
In Frankreich auch erkennt’s der Haufe an.
Wie wird ein Shawl, ein seid’nes Flor-Gespinnst,
Ein Perlenschmuck bewundert und begrinzt!
Weit mehr, als Sonn‘ und Mond, denn deren Glanz
Flicht keine Dame in den Lockenkranz.

Mir war, als säh‘ ich in der Komödie
Mein Innerstes in heit’rer Travestie
Mir vorgeführt; wie ich um seine Kraft
Den Proteus, der sich rastlos umerschafft,
So neidete mich selbst des Bettlers Wuth
Vielleicht um Wunder, die der Schneider thut.

O Cäsar, hast du je daran gedacht,
Daß selbst im Tod dir noch dein Glück gelacht?
Zwar – drei und zwanzig Wunden sind genug
Für den, der Rom nur halb in Bande schlug,
Doch finden konntest du das gleiche Ziel,
Weil deine Toga einem Dieb gefiel!

Es dämmerte, die schöne Welt verlor
Sich mit dem Tag, nun ras’te um mein Ohr
Von zwanzig Volkstheatern die Musik,
Dazwischen viel Gesang, Gejauchz, Gequiek.
Vor jedem wurden Lampen angesteckt,
Weil das die Lust in Volk und Kindern weckt.

An Hoftheatern komm‘ ich leicht vorbei,
Doch eine Bude bleibt mir ewig neu.
Wo wär‘ auch, den das „Bild der Welt“ nicht reizt,
Wenn sich darin Natur und Kunst verkreuzt,
Wenn jede zeigt, was sie nicht zeigen will,
Und eine um die and’re keift: sei still!

Wen läßt das veni vidi vici kalt,
Wenn’s stolz und breit aus Bettlers Mund erschallt?
Wer hört nicht das: Nichts ist unmöglich! gern,
Wenn unten gleich der Stiefel seinem Herrn
Das Gegentheil beweis’t, an dessen Riß
Man sieht, der Schuster trotzt dem Mann gewiß.

Hinein denn! Aber wo? Die Wahl ist schwer,
Der zeigt uns zwanzig Wunder; dreizig der.
Dort la Gloire de France! Wer schwankte noch!
Das ist der Ort! Denn sehen muß ich doch,
Wer für den Mann des Schicksals unverzagt,
Wenn’s nöthig ist, das Wort zu nehmen wagt.

Ein alter Tambour! Schau’n wir denn auf ihn!
So wär‘ er eingezogen in Berlin!
So hätte er bei Austerlitz gebrüllt!
So in den Mantel sich bei Ulm gehüllt! –
Sah dich dein Kaiser als Komödiant,
Er hätt‘ aus Angst zum Marschall dich ernannt.

Und doch, so wie du ihn, hat er den Geist
Der Welt, der abermals umsonst gekreis’t,
Vielleicht gespielt, und dieser rächt durch dich
Für seine eig’ne Parodirung sich,
So wie er schon vorher durch Walter Scott
Zum wackern Mann herabgesetzt den Gott.

Ade, o Kaiser! Der zu Tod dich stach,
Der Wurm umkriecht jetzt deinen Sarkophag,
Und ach, der Schwindel dieses Wurm-Gehirns
Beschreibt den Kreislauf deines Ruhm-Gestirns!
Denn, hast du mehr von deiner Majestät,
Als daß sich dieß noch tausend Jahre dreht?

Die Nacht brach ein, die Nacht, die, wie vom Kleid
Den Leib, so auch vom Leib den Geist befreit,
Die, daß die Lebensposse ganz zerstiebt,
Uns im Voraus den Tod zu kosten giebt,
Und auch schon Flocken aus dem Faden züpft,
Der uns mit allem Sein der Welt verknüpft.

Ich ging zurück, nicht matt, doch übersatt.
Jetzt ein Glas Wein noch und ein Zeitungsblatt!
Ein Wink, und Beides stand mir zu Gebot.
Ein Blick, und keinen mehr: Thorwaldsen todt!
Ein langes Schweigen, wie am heil’gen Ort!
Kein Lebewohl! Doch endlich dieses Wort:

So war ihm jeder Genius geneigt!
Das hat ihm auch der letzte nun gezeigt!
Er stirbt nicht! Lebt! Ist todt! So fällt ein Stern!
Das Fallen selbst ist schön! Man sieht’s noch gern!
Das war der Tod, den die Natur gewollt!
So stirbt, was ganz gelebt, wie es gesollt!

Er selbst war ein Geschenk. Ein zweites war
Sein Leben bin in’s siebenzigste Jahr.
So packt mich jetzt denn auch kein grimmer Schmerz,
Doch jener Schauder greift mir stark an’s Herz,
Der uns erfaßt, wenn scheidet solch ein Mann,
Den ein Jahrtausend erst ersetzen kann!

Denn Künstler-Größen lösen sich nicht ab,
Wie Schildwacht Schildwacht an des Kaisers Grab.
In immer längern Pausen kehren sie;
Denn immer schwerer wird die Harmonie,
Bis endlich alle weicht; und der Planet –
Wie jetzt der Mensch, sein Sohn, vielleicht vergeht!

Nun stehen alle Kaiserstühle leer!
Seit Raphael erstand kein Maler mehr,
Der sich durch Geistesfülle und Talent
Mehr aufgerichtet, als ein Monument.
Zwar, groß sind Vernet und Cornelius,
Doch wie? Als erster oder – letzter Gruß!

Beethoven schied. Und während er verschnauft,
Herrscht Meyerbeer, der hundert Orgeln kauft,
Damit der Componist, der mit ihm ringt,
Nicht eine vor ihm auf die Bühne bringt.
Beethoven hätt‘ der Orgel selbst vertraut,
Was dieser auf die erste Orgel baut.

Goethe ging heim. Das Diadem zersprang,
Das achtzig Jahre seine Stirn umschlang.
Nun zeigt zwar Mancher ein Juwel daraus,
Doch, wer verflicht sie abermals zum Strauß?
Wer ist es, der den Geist und die Natur,
Wie er, ergreift auf ungetrennter Spur?

Thorwaldsen folgt, der Letzte wohl im Zug,
Der aus dem Marmor griech’sches Feuer schlug,
Der das, was werden sollte und nicht ward,
Weil es im Werden selbst schon halb erstarrt,
Das ungeschaff’ne Urbild alles Seins,
Erlös’te aus dem spröden Schooß des Steins.

Fahr wohl! Noch nicht! So lang‘ ich dieses Wort
Nicht sprach, so lange kannst du noch nicht fort!
Das ist, die Liebe hat es wohl erkannt,
Der letzte Zauber, der die Schatten bannt,
Sie kehren um, wenn’s nicht ertönt, man sieht
Das Liebste noch einmal, bevor es flieht.

So trittst auch du vor meinen innern Sinn,
Damit ich Abschied von dir nehme, hin;
Wie ich dich einst bei Oehlenschläger sah,
So stehst du herrlich wieder vor mir da,
Schon ungenannt erkannt, und anzuschau’n,
Als hätt’st du selbst dich aus dem Fels gehau’n.

Du riefst mir freundlich ein Willkommen zu,
Ich rufe jetzt in deine ew’ge Ruh
Aus tiefster Brust ein Fahrewohl dir nach,
Und diesen Kranz, bunt, wie ihn mir der Tag
Aus wilden Blumen mit und ohne Duft
Geflochten, lege ich auf deine Gruft!


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