Gedichte Zum Eingang

Die Zeit ist die Madonna der Poeten,
Die Mater dolorosa, die gebären
Den Heiland soll; drum halt die Zeit in Ehren,
Du kannst nichts Höheres denn sie vertreten.
Georg Herwegh

Noch sprosst der Bart mir nicht ums Kinn,
Auch weiss ich, hört mich, ihr Teutonen,
Dass unter allen Epigonen
Just ich der allerletzte bin!

Doch lasst’s mich trotzdem euch gestehn:
Ihr jammert mich, ihr armen Dichter,
Ihr Groschen – und ihr Dreierlichter,
Von denen zwölf aufs Dutzend gehn.

Ihr stöhnt verzweifelt: Der Bien muss!
Und ampelt krampfhaft an der Leiter,
Doch ach, ihr kommt und kommt nicht weiter,
Wie weiland Fausti Famulus!

Seht, das ist eure Quintessenz,
Ihr fliedersüssen Lenzrhapsoden:
Ihr macht mit Hymnen und mit Oden
Den Nachtigallen Concurrenz!

Ihr glaubt verblendet, Poesie
Sei Lenznacht nur und Blüthenschimmer,
Ihr glaubt’s verblendet und singt immer
Ein und dieselbe Melodie!

Ihr dichtet jeden dritten Tag
Ein hohes Lied auf eure Liebe,
Reimt selbstverständlich darauf „Triebe“
Und gebt’s dann schleunigst in Verlag.

Zwar, seid ihr noch kein „grosses Thier“,
Müsst ihr auf alle Fälle „zahlen“,
Doch dann wird’s auch mit Initialen
Gedruckt auf fein Velinpapier.

Und wird’s dann gratis noch versandt
An so und so viel Kritikaster,
Dann lobt man euern schlechten Knaster
Und schimpft den Kieselstein Demant.

Und wenn ihr fleissig schmiert und salbt,
Sorgt auch die Clique für Verbreitung,
– Denn wozu hat man sonst die Zeitung? –
Herr X hat wieder mal gekalbt!

Ein Liederbuch ist’s dieses Mal
In rothem Maroquin gebunden
Und überdies sehr warm empfunden
Und wunderbar original!

Und kauft man sich dann das Idol,
Dann sind’s die alten tauben Nüsse,
Die längst genossenen Genüsse,
Der aufgewärmte Sauerkohl.

Von Wein und Wandern, Stern und Mond,
Vom „Rauschebächlein“, vom „Blauveilchen“,
Von „Küssmichmal“ und „Warteinweilchen“,
Von „Liebe, die auf Wolken thront“!

Und will der Dichter hoch hinaus,
Dann streicht er die Rubrik: „Erotisch!“
Und hängt die Tafel: „Patriotisch!“
Als Firmenzeichen vor sein Haus.

Doch Blech bleibt Blech, und ob es auch
Der Jude oft als Gold verschachert…
Der Ruhm, den ihr zusammenprachert,
Ist eitel Moder, Dunst und Rauch!

Denn kräht auch dreist zu eurem Wisch
Die heutige Kritik ihr Amen,
Und legt man ihn auch jungen Damen
Alljährlich auf den Weihnachtstisch:

Und labt sich auch aus eurem Quell
Der Leutnant und der Ladenschwengel,
Und nippt aus ihm auch jeder Engel,
Die Gräfin und die Nähmamsell:

Lasst über euch und euer Wort
Ein einzig Menschenalter rollen,
Und was ihr singt, ist längst verschollen,
Und was ihr pflanzt, ist längst verdorrt!

Ich aber mag nicht, lass wie ihr,
Das Pfund, das Gott mir gab, verwalten,
Ich will hoch über mir entfalten
Der Neuzeit junges Lenzpanier.

Ich lache, wollt ihr blöden Blicks
Verjährten Tand modern staffiren
Und himmelbläulich phantasiren
Vom Waldgnom und vom Wassernix.

Ich lache, zählt ihr eins, zwei, drei
Die Kugeln, die ihr nie verschossen,
Die Thränen, die ihr nie vergossen,
Ein jeder Zoll ein Papagei.

Ich lache, doch mein Zorn hält Wacht,
Denn der St. Veitstanz wird zur Mode;
Ich weiss, ihr tanzt nur aus Methode,
Weil ein Narr viele Narren macht.

Doch tollt nur euren tollen Schwank,
Nur zu, je toller, desto besser:
Ich biet euch Kampf, Kampf bis aufs Messer,
Und gehe meinen eignen Gang!

Den Gang, den lichtumstrahlt die Kunst
Sieghaft zu wandeln mir geboten;
Und Herz an Herz mit ihren Todten,
Veracht ich euch und eure Gunst!

Denn mir schlägt nicht das Wort den Takt
Zum Reigen selbstischer Gedanken,
Ein Löwe, hat es seine Pranken
Tief in mein Herzfleisch eingehackt.

Nur, dass es mich nicht jäh zerfleischt,
Such ich’s mit Liedern zu beschwören,
Doch nicht beim Rauschen alter Föhren,
Die Nachts ein schwarzer Aar umkreischt.

Auch nicht ins Grab der Lorelei
Verirrt sich mehr mein schwankes Steuer;
Die Zeit verliebter Abenteuer,
Für mich ist sie schon längst vorbei!

Nein, mitten nur im Volksgewühl,
Beim Ausblick auf die grossen Städte,
Beim Klang der Telegraphendrähte
Ergiesst ins Wort sich mein Gefühl.

Dann glaubt mein Ohr, es hört den Tritt
Von vorwärts rückenden Kolonnen,
Und eine Schlacht seh ich gewonnen,
Wie sie kein Feldherr noch erstritt.

Doch gilt sie keiner Dynastie,
Auch kämpft sie nicht mit Schwert und Keule –
Galvanis Draht und Voltas Säule
Lenkt funkensprühend das Genie.

Und um sich sammelt es ein Heer
Von himmelstürmenden Ideen,
Gedanken blitzen und verwehen
Unzählig, wie der Sand am Meer.

Doch mehr als einer wird zur That
Und lenkt das Schicksal der Geschlechter,
Und als des Ideals Verfechter
Streut er der Zukunft goldne Saat.

Und auf flammt dann ein neues Licht,
Ein neuer Welttag für die Erde,
Denn auch die Menschheit hat ihr „Werde!“
Und sinnlos ist kein Traumgesicht.

Der ewge Friede baut sein Zelt,
Und ob die Zeit sie auch verdamme,
Der Freiheit goldne Oriflamme
Weht leuchtend über alle Welt.

Und wenn dann Lied auf Lied sich ringt
In immer höhre Regionen
Und alle Völker, alle Zonen
Ein einzig grosser Bund umschlingt:

Dann ist’s mir oft, als ob die Zeit,
Verlästert viel und viel bewundert,
Als ob das kommende Jahrhundert
Zu seinem Täufer mich geweiht

Als müsst ich stossen in die Brust,
Ein Winkelried, mir eure Speere:
Hie Wahrheit, Freiheit und hie Ehre!
O Kampf der Liebe, Kampf der Lust!!

Drum dir, die schmerzvoll mich gebar,
Dir, junge Zeit aus Blut und Eisen,
Leg ich mein Herz und seine Weisen
Nun stumm auf deinen Hochaltar!

Schaust du doch auch ins Morgenroth
Und träumst von unentdeckten Welten;
Wirst du die Liebe mir vergelten,
Die tief für dich mein Herz durchloht?

Doch ob auch Dampf und Kohlendunst
Die Züge dieser Schrift verwaschen;
Kein flüchtig Glück will ich erhaschen,
Ich liebe dich, nicht deine Gunst!

Mir schwillt die Brust, mir schlägt das Herz
Und mir ins Auge schiesst der Tropfen,
Hör ich dein Hämmern und dein Klopfen
Auf Stahl und Eisen, Stein und Erz.

Denn süss klingt mir die Melodie
Aus diesen zukunftsschwangern Tönen;
Die Hämmer senken sich und dröhnen:
Schau her, auch dies ist Poesie!

Sie kehrt nicht nur auf ihrem Gang
In Wälder ein und Wirthshausstuben,
Sie steigt auch in die Kohlengruben
Und setzt sich auf die Hobelbank.

Auch harft sie nicht als Abendwind
Nur in zerbröckelten Ruinen,
Sie treibt auch singend die Maschinen
Und pocht und hämmert, näht und spinnt.

Sie schaukelt sich als schwanker Kahn
Im blauen schilfumkränzten Weiher,
Sie schlingt den Dampf ums Haupt als Schleier
Und saust dahin als Eisenbahn.

Von nie geahnter Kraft geschwellt,
Verwarf sie ihre alten Krücken,
Sie mauert Tunnels, zimmert Brücken
Und pfeift als Dampfschiff um die Welt.

Ja, Wunder thut sie sonder Zahl,
Sie lindert jegliches Verhängniss,
Sie setzt den Fuss selbst ins Gefängniss
Und speisst die Armuth im Spital.

Wohl war’s der Himmel, der sie schuf,
Doch heimisch ward sie längst auf Erden;
Drauf immer heimischer zu werden,
Ist ihr ureigenster Beruf!

So klingt das Lied, das hohe Lied,
Dass dumpfauf mir die Hämmer dröhnen;
Euch aber, euch, die es verhöhnen,
Euch fordr‘ ich kühn in Reih und Glied!

Rückt an! Mit offenem Visir
Und harter Faust will ich euch weisen:
Ich und mein Lied, wir sind von Eisen –
Ihr oder ich, ich oder ihr!

Denn nicht soll einst in später Zeit
Mit selbstgefälligem Behagen
Ein später Enkel von uns sagen,
Was roth wie Blut zum Himmel schreit:

Poeten ohne Poesie,
Und keiner rief das Wörtchen: Rette!
Sie blökten allsammt um die Wette,
Wie eine Heerde Hammelvieh!

Nein, nein und nein und aber nein!
Ein Schuft sein will ich, wenn’s so endet!
Das Blatt hat endlich sich gewendet!
Dies Buch soll dess ein Zeichen sein!

Soll sagen, was ihr nie gewollt:
Der Singsang hat sich ausgetutet –
Auch durch das junge Lied noch fluthet
Das alte Nibelungengold!

Drum ihr, ihr Männer, die ihr’s seid,
Zertrümmert eure Trugidole
Und gebt sie weiter, die Parole:
Glückauf, glückauf, du junge Zeit!


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Gedichte Zum Eingang - Holz