Gedichte Dritte Handlung

Erster Auftritt

Seneka mit verbundnen Adern, Pompeja Paulina, Piso, Fenius, Polybius, der Hauptmann und die Wache.

SENEKA mit schwacher Stimme.: Es wird nicht nöthig seyn, daß ich mir die Adern wieder öffnen laße. Schwachheit und Onmacht überfällt mich schon, und ich fühle das Ende meiner Tage sich nahen. O ewiges, unbegreifliches Wesen! auf deßen Ruff das verwirrte Chaos, Leben und Gestalten, Schönheit und Ordnung annahm! das auch den denkenden, unsterblichen Geist des Menschen werden ließ! Ich fürchte mich nicht vor dir zu erscheinen, ohngeachtet du mit mächtigem Arme die furchtbare Wage hältst, die die Thaten der Sterblichen richtet. Ich bin der Vernunft, die du mir zur Führerin gegeben, gefolgt. Nie hat mich Bosheit entehrt, nur Schwachheit hat mich zu Fehlern verleitet. – O welche Pracht, welche Herrlichkeit muß dich umgeben, da deiner Hände Werk, der Bau der Welt, die Sonne und der gestirnte Himmel mit so viel Majestät geschmückt ist! –
POMPEJA: Du bist deiner Glückseeligkeit und dem Lohne deiner Tugend nahe, mein Seneka! Aber mich und deine Freunde läßest du zurück. Ach, weßen Schmerz ist dem meinigen gleich! Wer hilft mir meine Last tragen? Octaviens Tod hätte ich schon nicht überleben können, wenn ich dich nicht zugleich hätte verlieren müßen. Der Besitz deiner und deine Liebe überwog bey mir alle Pein, und schien mir der schrecklichsten Martern werth. Allein jetzo erdrückt mich die Hand des Unglücks! Nun ist mir des Tages Licht unerträglich! – Gerechter Himmel, warum tödtest du nicht gleich diejenigen, die du elend machst! Wie leicht ist der Tod, aber wie entsetzlich sind oft seine Ursachen! – Doch endlich befreyt er von aller Quaal. Er wird mich auch davon befreyen! Ich will ihn schon finden. Ein kurzer Schmerz ist einem langen Übel vorzuziehen. Ich will mit dir zugleich erblaßen, o du, die beste Helfte meines Lebens!
SENEKA: Der Tod wird mir nicht schwer, nur der Verlust deiner, o Pompeja; und der Verlust eurer, meine Freunde, wird es mir. Doch ihr werdet bald bey mir seyn, und ich bin glücklich genug gewesen, daß ich euch beseßen habe. O ihr vormals mein Wunsch und Trost, jetzt meine Quaal, lebt ewig wohl! Euer Glück sey euren großen Verdiensten gleich. Errettet euer Vaterland von der Knecht schaft, richtet die unterdruckte Tugend auf und wischet die Thränen von den Augen der Gerechten! Der sey unter euch der größte, der der willigste ist, die Glückseeligkeit Roms mit Ketten und Wunden, und alle seinem Blute zu erkauffen. –
PISO: Ach, er stirbt, der größte unter uns! Er stirbt, und verlieret all sein Blut für die Glückseeligkeit Roms! Warum verhängst du seinem Tod, o Himmel! Warum verhängst du, daß ich dabey gegenwärtig seyn muß! Ich glaubte durch meinen Besuch, mein Gemüth zu erheitern, und Bilder, schwärzer als die Nacht des Todes, erfüllen es, und werden niemals wieder daraus verlöschen! Künftige, weit entfernte Jahrhunderte werden deinen Fall bedauren, o Edelster unter den wenigen Edeln der Welt! und sie werden dem Wütrich fluchen, der ihn veranlaßt – Aber besorge nicht, daß deine Freunde jemals die Gesinnungen verleugnen werden, die sie deinem Umgange und deinem Unterrichte zu danken haben. Du wirst immer mitten unter uns seyn, wir werden glauben, daß dein Geist auf unsre Thaten sieht, daß seine Gegenwart uns umgiebt, wie der Äther, und bey allen zweyfelhaften Fällen werden wir uns befragen: wie würde dieses Seneka aufnehmen?-wie würde er handeln? – – Kein dir unwürdiger Gedanke soll jemals deine Freunde entehren, und wem nur ein Schatten davon vor der Seele vorübergeht, den wird Abscheu und eine edle Angst erfüllen, wenn er an dich gedenkt. Er wird dein Bildniß sehen und ein heiliger Schauer wird sein innerstes durchdringen. –
SENEKA: Denkt nicht zu lange an mich und meinen Tod, meine Geliebtesten! Nur eine kurze Zeit beweinet euern Freund. – Mein Lebensende ist nahe! – Die Brust wird mir zu enge – Ich –
POLYBIUS: Ach, er stirbt! – Er ist erkaltet! – Himmel, warum muß ich ein Zeuge dieses Unglücks seyn! Was wird meinen Verlust ersetzen; Nimmer werde ich diesen abscheulichen Tag vergeßen, der mir meinen fürtrefflichen Freund, und dem menschlichen Geschlechte seine Zierde raubt. –
POMPEJA: Nun ist es um mich geschehen! Mein Seneka! mein Seneka! wie erschrecklich beugst du mich! Sage mir noch einmal, daß du mich liebst! – Er hat seinen Geist schon zu den Unsterblichen geschickt. – Ach, wer errettet mich von der Angst, die meine Seele überfällt! Unaussprechliche Martern zerreißen mich! Meine schwachen Füße zittern und erhalten mich nicht mehr, und die Brust wallt für unnatürlicher Spannung – Wo bist du, mein Seneka? Wo bist du? Kehre zu mir Verlaßenen zurück! – Nattern – Heere von Nattern eilen auf dich zu, und wollen dich tödten. – Seht, wie sie den schuppichten Leib krümmen! Hört, wie sie zi schen! – Rettet ihn! o rettet meinen Geliebten! – Aber – wie ist mir! Unbeschreibliche Angst zerrüttet meine Natur. O Tod! nur du kannst mich von meinen Elend befreyen. O mein Seneka! – –

Sie ersticht sich.

POLYBIUS: Himmel, was für entsetzlicher Pein bin ich aufgehoben! Unglück folgt auf Unglück, und Jammer auf Jammer. O mein Freund, o meine Freundinn! In was für einem Zustande hinterlaßt ihr mich! Wie werde ich ohne euch die Last des Lebens ertragen! Die Ehre Roms und die Ehre des menschlichen Geschlechts ist dahin, und Nero und ihre Schande lebt! Wenn wirst du deine Rechte schützen, o Vorsehung! Wer wird das Werkzeug deiner gewißen Rache seyn! Piso, Fenius, ihr Edeln –
SENEKA der sich von der Ohnmacht erhohlt: Ach! – Ist das Ende meiner Quaal noch nicht vorhanden? – Eine Zeitlang hatte mich das Gefühl verlaßen, allein, nun empört sich die Brust aufs neue – Himmel, was ist hier geschehen! – Pompeja in ihrem Blute! Entsetzlicher Anblick, der mich mehr beunruhiget, als alles, was ich jemals erlitten habe. – Pompeja! o Allzugetreue! Verzeuch, verzeuch, bis ich zugleich mit dir erblaße. Öffnet mir die Binden, daß alle mein Blut dahin fließe! daß meines Elendes ein Ende werde! – –

Pompeja wird weggebracht.

Zweyter Auftritt

Ein Bote und die Vorigen.

DER BOTE: Ein erschrecklicher Zufall verwüstet deine Vorwerke am Gestade des Meers, o Seneka! Ich bin abgeschickt, es dir zu sagen. Gewaltige Winde erhuben sich plötzlich, Finsterniß bedeckte den Himmel, so daß die Vögel der Nacht erwachten. Flammen fuhren aus der Erde. Sie krachte, als wenn alle Felsen des Grundes bis zum Mittelpunkte der Erde gespaltet würden. Die See schien zu klagen, erhub sich und riß aus ihren Ufern. Viele Gebäude stürzten ein, vor der Macht der Wellen; und Schrecken und Angst erfüllte die ganze Gegend – – Allein, ihr Götter! was sehe ich! Nun weis ich, was dieser fürchterliche Zufall verkündiget hat. –
FENIUS: Ja, leider, kannst du es hier sehen! Seneka, dein Herr, der größte und der tugendhafteste Mann unter allen Sterblichen, der Freund des Himmels und die Zierde der Natur, stirbt, auf Befehl des elendesten Bösewichts, den jemals die Erde getra gen hat. Nicht nur die Seinigen werden den Tod des Edeln beweinen, sondern die weite Welt, die er belehret hat, und deren Glückseeligkeit er suchte. Der Himmel kündigt ihr durch die entsetzliche und wunderbare Begebenheit die Größe ihres Verlustes an – – –
DER BOTHE: Ach, welch ein Unglücksbothe muß ich seyn! Die Wuth der Elemente hat Furcht und Schrecken in der Gegend, von der ich komme, verbreitet; aber die Nachricht, die ich ihr bringen werde, wird alle Bewohner derselben mit Verzweiflung erfüllen. Sie werden nun die wehklagende Stimme des Sturmes verstehen, und das rufende Meer wird ihnen sagen, daß Seneka, ihre Freude und ihre Glückseeligkeit stirbt! Für Schmerz werden sie sich die Brust schlagen und das Haar sich von ihren Häuptern reißen. O gerechte Götter! o Seneka! o mein geliebtester Herr!

Er geht ab.

Letzter Auftritt

Seneka, Piso, Polybius, Fenius, der Hauptmann und die Wache.

SENEKA: Nun nahet sich das Ziel meiner Tage! Athemlosigkeit und kalter Schweiß überfällt mich, und die Gegenstände schwimmen mir schon vor den Augen – – O Wesen aller Wesen, beflügle meinen Ausgang aus der Welt! – – – Gehabt euch wohl, meine Freunde! Gehabt euch wohl! – – Ich – – sterbe!

Der Vorhang fällt zu.


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Gedichte Dritte Handlung - Kleist