Gedichte Erste Handlung

Erster Auftritt

Seneka und Pompeja.

SENEKA: Ja, Pompeja! Ich habe den betrüglichen Reichthümern und den gefährlichen Ehrenstellen, mit mehreren Freuden entsagt, als sie übernommen. Mein künftiges Glück war ungewiß, als ich sie übernahm, und es ist gewiß, da ich mich ihrer entschüttet habe. – Gehab dich wohl, ungetreuer Hof, wo man mit wenigerer Sicherheit einhergeht, als auf einem Boden voll unterirrdischer Höhlen, der Erschütterungen, Einsturz und Verwüstung drohet! Ihr Spiele! Ihr Feste! Erfindungen des Stolzes und der schwarzen Wollust! Ihr güldnen Palläste, darin Grausamkeit und ein prächtiges Elend wohnt, gehabt euch wol! Der niedrige Ehrgeitz mag am Fuße eines Thrones zittern, von welchem ein Henker gebietet. Und ihr, treue Gefilde! einsame und friedliche Wälder! ihr Wohnungen der Ruhe und der Glückseeligkeit, seyd mir gegrüßt! Hier, Pompeja, wollen wir uns selbst leben! Hier sollen die Tage unsers Lebens lauter Frühlings-Tage seyn. Die geschäftige und anmuthsvolle Weltweisheit wird mich hier entzücken, und durch ihre Lehren und durch ihren Reitz mein Leben verlängern. – – Allein wird mich auch die Erinnerung meines geliebten und gequälten Vaterlandes verlaßen, das noch immer ein Raub der Grausamkeit und wilder Leidenschaften bleibt? – O Rom! o Vaterland! o Beherrscherin der Welt! wenn wirst du dich der Knechtschaft entreißen! Wie lange seufzest du unter der schweren Hand der Tyranney, die dich zu Boden drückt! Wenn werden Tugend und Ruhe in deine Mauren zurückkehren, und Wißenschaften und Künste darin blühen! Wie gerne wollte ich mein Leben deiner Wohlfart aufopfern, wenn ich wüste, daß sie dadurch befördert würde! Allein der Wütrich würde mir das Leben rauben, und Rom würde dennoch wehklagen!
POMPEJA: So ist es Seneka! Dein Tod der gewiß erfolget wäre, wenn du Rom nicht verlaßen hättest, – denn du hast dem Bösewicht nur zu kühn seine Laster und Grausamkeiten vorgeworffen – dein Tod würde nur das Unglück deines Vaterlandes, und nicht sein Glück befördern. Der Blutdurst des Tyrannen würde durch die Gewohnheit noch immer mehr zunehmen, und was könnte ihm noch heilig seyn, nachdem er deiner nicht geschonet? – Sey also vergnügt, Seneka! Das Ungewitter, das über unserm Haupt schwebte, hat sich verzogen. Die Fürsehung hat dich der Welt geschenkt, und hat dich mir geschenkt; denn ach! was wäre ich ohne dich! Vergiß, was nicht in deiner Gewalt ist, und überlaß die Strafe des Wüterichs und die Errettung deines Vaterlandes dem Wesen, das über alles wacht, das, wie du mich oft gelehret hast, alles zur Glückseeligkeit der Welt lenkt, und die Thränen des Tugendhaften und des Weisen, an seinen Feinden rächet. Siehe! die Natur winkt dir! Sie haucht mit unaussprechlicher Anmuth, Zufriedenheit aus. Laß dich von ihr zur Freude einladen! Dein Gemüth sey so ruhig und heiter wie sie, da es, wie sie, unschuldig ist. Sey groß in dir selber, und hülle dich in deine Tugend! Die Niederträchtigen mögen trauren, die der hochmüthige Zorn, der blaße Neid, der finstre Menschenhaß und die verborgene Schaam, wechselsweise foltert. – –
SENEKA: Es gehet mir, Pompeja, wie denen, die nach überstandenen schweren Ungewittern auf dem Meere, das Ufer betreten. Der feste Boden scheinet ihnen zu wanken, das Bild der rasenden Wellen ist ihnen noch immer gegenwärtig, und sie fürchten sich auf dem Lande, von ihnen verschlungen zu werden. Bald wird mir der Boden nicht mehr wanken! Die Zeit wird die traurigen Bilder in mir verlöschen! Ich werde bald die Natur in ihrer Schönheit sehen, und ausgebreitete grüne Gefilde, und Gärte und Hügel voll fruchtbarer Bäume, wo ich jetzt noch Wellen erblicke. Die Weltweisheit wird mich zu jenen hellen Höhen führen, da ich sehen werde, wie sich im unermeßlichen Raum die Sterne unter meinen Füßen drehen, und da mir die Erde ein Staub, und ihre Hoheit und Pracht, und die Rathschläge und der Stolz ihrer Bewohner ein Nichts seyn wird. Dann wird meine Glückseeligkeit erst anfangen, und die bisherige Widerwärtigkeiten werden mir dienen, mein Glück zu fühlen. Ich wäre niemals glücklich geworden, wäre ich nicht unglücklich gewesen. – Aber du scheinest mir vorzuwerffen, Pompeja, daß ich dem Nero seine Grausamkeiten zu kühn verwiesen. Kann man gegen einen Bösewicht zu kühn seyn? Und hätte ich mich nicht durch Stillschweigen seiner Frevelthaten theilhaft gemacht? Wer Lastern wehren kann, und wehrt ihnen nicht, der verübt sie selber.
POMPEJA: Es ist deiner Denkungsart und deines Herzens würdig, daß du dich des Wütrichs Bosheiten wiedersetzt. Hättest du aber nicht vielleicht durch Sanftmuth und anhaltendes Bitten und Vorstellungen mehr ausgerichtet, als durch Heftigkeit? – Doch Polybius kommt, er –

Zweyter Auftritt

Polybius und die Vorigen.

POLYBIUS: Und du hast dein Vaterland verlaßen, Seneka, und hast nicht erwogen, daß du es verwayset hinterließest? Seit deiner Entfernung ist Rom ein großes Gefangenhaus, das von den Klagen der Elenden und Unterdrückten wiederhallet. Welch ein Jammer, die Tugend ewig mit erblaßtem Angesichte und in Zähren zerfließen zu sehen! Kein Rechtschaffner öffnet die Augen mehr der Freude; ein jeder glaubt, daß ihm ein entblößtes Schwert über der Scheitel hange, und der immer erneuerte Gram verfinstert ihm die Aussicht in frohere Tage. Gestern – ach, daß der schwarze Tag ewig aus dem Angedenken der Menschen könnte verloschen werden! – gestern hat des Nero große und tugendhafte Gemahlin, auf das Geheiß des Barbaren, den Giftbecher –
POMPEJA: Wie? Octavia ist durch Gift hingerichtet? Octavia, meine Freundin? O Himmel, wer wird nun mehr leben wollen! Was hat sie verbrochen, die Fürtreffliche, was hat sie verbrochen? Wie hat sich das Bild der Schönheit und der Sanftmuth, den Haß des Bösewichts zuziehen können?
POLYBIUS: Ja, Pompeja! sie ist nicht mehr, die schöne Unschuld, die Ehre der Menschheit, sie ist nicht mehr! Nach langer Quaal hat sie, die vergangene Nacht, die große Seele dem Himmel zugeschickt; und sie genießt jetzo schon den Lohn ihrer Tugend. Ihr Verbrechen war ihre Unschuld und ihre großen Eigenschaften; und wehe den Edeln und Rechtschaffnen, sie werden noch viele Verbrechen begehen! –
POMPEJA: Ist es möglich, daß die Bosheit des menschlichen Herzens so weit kann getrieben werden, als Nero sie treibt, daß die Natur sich so verleugnen, und so tief von ihrer Höhe fallen kann! Octavia ist nicht mehr, Octavia, die würdig war, ewig zu leben! Finstrer Tag, der der Welt ihr bestes Kleinod raubt, o daß ich dir die Augen öffnen muß! Warum verzögre ich mit dir zu erblaßen, o meine Freundin, o meine geliebteste Freundin! –
SENEKA: Erschreckliche Nachricht! Nun hat die Mordsucht des Nero den höchsten Gipfel erstiegen. Die Geschichte der barbarischsten Nationen zeigen uns keine Beyspiele von ähnlicher Grausamkeit. – Aber, Pompeja, laß dich diesen Zufall nicht zu sehr erschüttern! Octavia verdiente alle Glückseeligkeit, deren Sterbliche fähig sind, und ich hätte selbst mein Leben willig für sie gelaßen. Allein sie war hinfällig, wie alles irrdische, und hätte doch sterben müßen. Sie ist ihrer Glückseeligkeit entgegen gegangen, auf die wir alle noch warten. Beruhige dein Gemüth, und mißgönne ihr ihr Glück nicht. Sie ist jetzo eine Zierde des Himmels, und weiß nichts mehr von dem Elende der Sterblichen. In unaussprechlicher Wonne genießt sie den Lohn ihrer großen Tugenden.
POLYBIUS: Ja, den genießt sie. Sie hörte mit bewundernswürdiger Standhaftigkeit den Befehl des Tyrannen an, und wie sie den Giftbecher getrunken hatte, versammelte sie ihre gegenwärtigen Freunde und Freundinnen um sich herum und sagte: – Ach, nimmer werde ich den süßen Ton vergeßen, mit dem sie dieses aussprach; und nimmer ihre heitre und himmlisch-hohe Mine! Sie sagte: ‚Ich gehe nun in seeligere Wohnungen, in Wohnungen der Freude und der Ruhe. Gehabt euch wohl, meine Geliebtesten! meine Freunde! auch ihr, die ihr jetzo nicht gegenwärtig seyd, aber meinem Fall bedauern werdet; gehabt euch alle ewig wohl! Ihr seyd das einzige, das ich ungern auf der Welt zurücklaße. Allein ein kleiner Zeitpunkt scheidet nur eure Glückseeligkeit von der meinigen. Bald werdet ihr mir folgen; denn will ich in den ewig-heitern Gefilden euch auch um mich herum versammeln, und unsre Freude wird alle Vorstellung übertreffen.‘
POMPEJA: Ich werde dir am ersten folgen, o Göttli che! ich werde dir am ersten folgen! Das Leben ist mir zur Last, und der Tod hat Wollust für mich. Ach, warum bin ich bey deinem Tode nicht gegenwärtig gewesen, o du, in deren Seele die meinige ganz eingewebet war! Warum habe ich dir nicht die Augen zugedrückt! Ich wäre so mit dir zugleich erblaßet. – – Entsetzlicher Verlust! – Unerhörte Grausamkeit! – Wer kann auftreten und Octavien nur eines Fehlers beschuldigen? Die schönste Seele wohnte in dem schönsten Leibe. Die Glückseeligkeit ihrer Freunde und des ganzen menschlichen Geschlechts, war ihr einziger Wunsch, ihre einzige Sorge. Die Gutthätigen und Mitleidigen schienen ihr nur groß zu seyn, und sie setzte ihren einzigen Werth nur in Mitleiden und Gutthätigkeit. – Und dich soll ich nicht mehr sehen, o Blume des menschlichen Geschlechts! o meine geliebteste Freundin! Ich soll nicht mehr deine süße Gespräche hören, und deine große Gesinnungen bewundern, die mich zur Tugend anfeurten! Ach unmöglich kann ich nun das Leben länger vertragen. – Ich fühle schon die Schauer des Todes in meinen Adern –
POLYBIUS: Du must leben, Pompeja! Du must deinem Gemahl und der Wohlfarth der Welt leben. Erheitre dein Gemüth, und laß es unter dem Schmerz nicht erliegen! – Agrippina hat mich abgesandt und beschwöret dich, Seneka, bey der Heiligkeit der Tugend und der Religion, sie und Rom nicht zu verlaßen, sondern deine Ehrenstellen, die für dich aufgehoben sind, wieder anzunehmen. Du bist der einzige, der der Raserey des Kaysers Einhalt thun kann, weil er dein Ansehn bey dem Volke fürchtet. –
POMPEJA: Der Wütrich hat die allgemeine Liebe Roms zu Octavien nicht gefürchtet, und wer ist Bürge, daß er dieserwegen meines Gemals schonen werde? Er haßet ihn, der Vorwürffe wegen, die er ihm schon gemacht, zu viel, als daß er sich Folgen seiner Grausamkeit vorstellen sollte, und neue Vorwürffe würden ihn noch mehr erbittern. Nein, nein, man gönne Seneka, nach vieler überstandner Arbeit und erlittenem Ungemach, die Ruhe, und mich überhäuffe man nicht mit Unglück, deßen schwere Lasten ich ohnedem nicht mehr ertragen kann. Die Vorsehung wird schon die Rechte der Tugend behaupten, und die Feßeln Roms zerbrechen.
POLYBIUS: Du hast zu wenig Vertrauen zu Agrippinens und zu meiner Freundschaft. Wie würde Agrippina, die deinen Gemahl verehrt, von ihm etwas verlangen, dabey sein Leben Gefahr liefe? Und ich, dem es nicht schwer seyn würde, für Seneka zu sterben, – dem es nicht schwer seyn würde, – wie könnte ich ihm zu etwas gefährlichen rathen? Granius Sylvanus, und die größten Heerführer haben sich wieder Nero verschworen, und das ganze Heer wartet ungeduldig, den Wütrich zu bestraffen. Seneka soll das letzte versuchen, und ihm die Folgen seines Blutdursts und Unsinns vorstellen. Entweder er gehet in sich, und wird wider der Vater seines Volks, wie er es ehedem war, oder eine ewige Gefangenschaft ist, mit Agrippinens Einwilligung, der Lohn seiner Bosheiten. Piso, der, wie ich höre, nebst Fenius eben bey dir seyn soll, Piso, der Rechtschaffene, der ehe sein Leben verlöre, als ein Laster beginge, der tugendhaft seyn würde, wenn es eine Schmach wäre, Tugend auszuüben, wird den entweyhten Thron besteigen, ihn durch seine Thaten heiligen, und Rom Ruhe, Sitten und Glückseelichkeit wieder schenken. –
POMPEJA: Allein, wer ist Bürge, daß mein Gemahl nicht ein Opfer von des Tyrannen erstem Ausbruche des Zorns wird? Und ach! geliebtester Seneka! du bleibest ewig der Welt, deinem Vaterlande und mir entrißen, wenn man gleich nachher deinen Tod an dem Wütrich mit den grausamsten Martern rächete!
SENEKA: Du besorgst zu viel, Pompeja! Du fürchtest nur den Verlust meiner; fürchte mehr den Untergang Roms! Polybius hat Recht, man muß das letzte versuchen. Ich werde es schon mit Glimpf, und nicht mehr, wie vormals, mit Heftigkeit thun. – Wie glücklich wollte ich mich schätzen, wenn ich Rom nicht von Nero befreyen, sondern Nero seinem Volke wieder schenken könnte! Er, der ehemals meine Lust, und die Lust des menschlichen Geschlechts war, ach möchte er es doch wieder werden! Wie froh wollte ich einmal mein graues Haupt zur Ruhe legen, wenn ich den Verirrten auf die Bahn der Tugend zurück bringen könnte! Ich würde glauben, den Himmel offen zu sehen, und die Freude der Unsterblichen zu empfinden!
POLYBIUS: Vielleicht bist du so glücklich, Seneka! Wenigstens kann man hoffen, daß die Furcht für traurige Folgen, deren Herannäherung man ihm verdeckt zeigen muß, ihn von fernerer Grausamkeit abhalten werde. – Ach, geliebtester Freund! Du schenkst durch deinen Entschluß Agrippinen und mir das Leben, und Rom seine Wohlfarth wieder! Säume nicht, dein Versprechen zu erfüllen. Ich will eilen und Agrippinen die frohe Nachricht von deiner baldigen Ankunft in Rom, überbringen.

Er geht ab.

SENEKA: Und wir, Pompeja, wollen Fenius und Piso aufsuchen, und ihnen entdecken, was vorgegangen ist.


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