Gedichte Wisperwind

Der Wisperwind, der Wisperwind,
Den kennt bis Östrich jedes Kind;
Des Morgens früh von vier bis zehn,
Da spürt man allermeist sein Wehn!
Stromauf aus Wald und Wiesengrund
Haucht ihn der Wisper kühler Mund!

Ja, immer, immer nur stromauf
Fährt er mit Pfeifen und Geschnauf‘:
Von unten jetzt und allezeit
Braust er nach oben, kampfbereit;
Nie mit der Welle geht sein Strich,
Nur ihr entgegen stemmt er sich!

Er macht sich auf, wo Hütten stehn;
Wo Hütten stehn und Mühlen gehn.
Des Bauern Strohdach ohne Ruh‘
Schickt ihn der Burg des Fürsten zu;
Anfährt er trotzig, sagt mein Ferg‘,
Schloß Rheinstein und Johannisberg.

Er saust und wütet um sie her,
Frisch und gradaus wie keiner mehr;
Er schiert den Teufel sich um Gunst,
Er pfeift was auf den blauen Dunst,
Der trüb um ihre Zinnen hangt –
Er pfeift, bis klar der Himmel prangt.

Ja, heiter wird auf ihn der Tag;
Drum braus‘ er, was er brausen mag!
Er selbst und noch ein Wisperwind: –
Ein neuer Tag der Welt beginnt!
Die Hähne krähn, der Wald erwacht,
Ein Wispern hat sich aufgemacht!

Von unten keck nach oben auch
Zieht dieser andern Wisper Hauch;
Auf aus den Tiefen zu den Höhn
Erhebt sich frisch auch dieses Wehn;
Strohdach und Werkstatt ohne Ruh‘
Schicken der Fürstenburg es zu!

Da hangen trüb die Nebel noch;
Geduld nur, es verjagt sie doch!
Wie zornig sie auch dräun, wie wirr,
Es läßt nicht ab, es wird nicht irr!
Mit kräft’gem Blasen, Ruck auf Ruck,
Macht es zunichte Dunst und Druck!

Hab‘ Dank, du frisch und freudig Wehn!
Hab‘ Dank, hab‘ Dank – o, wär‘ es zehn!
Ja, zehn und rings der Himmel rein!
Jetzt, mein‘ ich, wird es sechse sein! –
Der Wisperwind, der Wisperwind,
Den kennt bis Östrich jedes Kind!
Asmannshausen, Mai 1844.


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