Gedichte Der Teufelsteich

Thörichte Freunde des todten Alten,
Fahrend in ausgeleierten Gleisen,
Tanzend nach verklungenen Weisen,
Möge dies Mährlein euch unterhalten.
Lenau

Die Leute nennen ihn den Teutelsteich.
Die alte Müllersch, die mit Krücken wirft,
Die Hurenlieder singt und Kräuter trocknet,
Und die der Pfundwirth immer Hexe schimpft –
Wahrscheinlich weil die Kathi schwanger geht,
Weil morgen Markt ist und sein Bier nichts taugt –
Die alte Müllersch hat’s nicht weit von ihm.
Ihr wisst, auf Christenleute Worte werfen,
Die um ihr Renommee wie Kletten baumeln,
Sie Höllenunflad, Fegefeuerzangen
Und Teufelsfricassee betituliren,
Ist nicht mein Amt. Ich bin kein Leutepriester.
Ich bin nur sozusagen Philosoph.
Ich züchte Bienen, schneide Haselruthen
Und bläu den Jungens meine Fibel ein.
Doch diese Müllersch… wie? Ihr kennt sie nicht?
Ei, was Ihr sagt! ‚S ist ja dasselbe Weibsbild,
Das neulich über diesen Zaun geschielt,
Grad als der Toni sich den Fuss verstauchte
Und meine Mietze sieben Junge warf!
Zum Kukuk, Herr, entsinnt Ihr Euch denn nicht?
Ach, geht! Ihr sasst ja grad auf dieser Bank
Und suchtet Euer weisses Taschentuch.
Nicht wahr? Ein Schluckanfall! Nun ja, ich sag’s ja!
Hm? Und mein Altchen? Ach, die gute Seele!
Hat sie nicht dreimal Euch ins Kreuz gestukt?
Glaubt mir, ich hab’s Euch immer schon gesagt,
Sie hat Euch lieb; weit lieber noch als mich;
So lieb, wie ihr Kanarienvögelchen.
Und als ihr Mittelchen nicht gleich verschlug?
Lief sie nicht händeringend nach dem Brunnen
Und stolperte dann über diesen Pflock,
Den ich erst Ostern so hübsch rund geschnitzt
Und jetzt zu Pfingsten grün bemalen wollte?
Und ging mir selber, da ich still dabei stand
Und blaue Ringel in den Flieder blies,
Ging mir nicht einszweidrei das Pfeifchen aus?
Die Hexe aber, die es ausgeblasen,
Die mir mein Altchen beinah lahm geschielt
Und Euch den Schluckauf in den Hals gewünscht,
That unschuldsvoll wie ein Marienbildchen,
Griff dreimal an ihr gelbes Kopftuch, nieste,
Sah blinzelnd in die Sonne und verschwand
Dann endlich hinkend hinter jenem Kirschbaum.
Mag Lux, der Glöckner auf den Melibocus,
Ihr mal gelegentlich um Mitternacht
Mit seinem Kuhschwanz das Genick abdrehn!
Der neue Amtmann wird sie hoffentlich,
Wenn unser Herrgott nichts dagegen hat
Und Pfarrers Köchin nicht dahinter kommt,
– Wie ich mir denke, noch so vor Johanni –
An irgend ein Spital verauktioniren.
Wenn’s der Gemeinde, der das rothe Schulhaus
Schon unverschämt viel Geld gekostet hat,
Nur nicht das Futter aus dem Säckel reisst!
Das Jahr fünf Thaler wird’s ihr freilich kosten.
Dass doch ein Weibsbild so verflucht schwer stirbt!
Na, gut, dass wenigstens das alte Rauchloch,
Drin sie seit Jahren schon herumspelunkt,
Von unserm Dörflein so hübsch abseits liegt!
Die Kühe milchen so wie so schon schlecht.
Wer weiss, wenn sie die Alte grünlich anspuckt,
Ob sie nicht Frösche mit fünf Beinen kalben?

Doch von der Müllersch, die mit Krücken wirft,
Die Hurenlieder singt und Kräuter trocknet,
Und die der Pfundwirth immer Hexe schimpft,
-Sein Schwager Forstwart will sogar drauf wetten,
Dass sie nach Kümmel stinkt und Taback kaut –
Von dieser Müllersch wollt ihr ja nichts hören.
Ihr wollt nur wissen, was die Ofenbank
Am Abend, wenn das Feuer auf den Dielen
Sich blassroth zwischen Kalmusblättern malt
Und weiss der Winter durch die Scheiben lugt,
Was dann die Ofenbank sich plappermäulig,
Indess die Mädels ihre Spindeln drehn,
Vom Teufelsteich zu colportiren weiss.
Nun gut. So hört denn zu.

Vom Teufelsteich
Mag’s bis zur Kathe von der alten Müllersch,
So ungefähr drei Vaterunser weit sein.
Ihr wisst, die Haide fängt schon früher an.
Um seine Ufer, die von Scherben starren,
Von Stiefelsohlen und Papier umkränzt,
Dehnt sie sich nackt und dürr wie ein Gerippe.
Sand, nichts als Sand und immer wieder Sand,
Soweit die Raben ihre Flügel blähn!
Drei alte Silberpappeln rauschen nur
Gespenstisch in den dunklen Abendhimmel,
Und blutroth drunterhin schwankt eine Blume.
Die einzige, die hier zu blühen wagt.
Denn niemals singt ein Vogel ihr ein Lied,
Ihr Duft erstickt in der verfaulten Luft
Und in den Wassern darf sie sich nicht spiegeln.
Denn die sind kohlschwarz wie das Herz des Teufels.
Das Boot, das ruderlos im Schilf verfault,
Hat längst der Sumpfpilz wie ein böser Aussatz
Mit grossen, grünen Buckeln übertupft
Und um die Kette, die durchs Wasser schleift,
Klebt Schlamm und Entengrütze fingerdick.
Die Planken, die verspaakt, zurechtzubasteln,
Hat sich bisher noch niemand träumen lassen.
Wozu auch? Karpfen giebt’s dort nicht zu angeln
Und Krötensuppe mag der Pfarrer nicht.
Klaus Tom, der Fischer, hat sein graues Netz
Nur noch zum Staat vor seiner Thür zu hängen!
Punkt fünf Uhr morgens steht der Racker auf,
Probirt sein Süpplein, gähnt, schlurft in sein Gärtchen,
Stäubt dort das morsche Bretterbänklein ab,
Stopft sich gemüthlich seinen Türkenkopf,
Schlägt dann das rechte übers linke Bein,
Pafft wie ein Schornstein, zählt die Sommerwolken
Und merkt daneben, was die Fliegen summen.
Zu Frühstück schickt ihm dann der alte Matthies,
Der neulich erst den schwarzen Stern gepachtet,
Ein Kümmelchen mit Pommeranzen rüber.
Ein Kümmelchen! Das heisst wohl mehr ein Kümmel.
Man lutscht bequem ein Viertelstündchen dran.
Natürlich ist man dann zu Mittag hungrig!
Dreimal die Woche Häring, einmal Fleisch
Und Samstag Abend ein Gebacknes extra!
Na, mir kann’s recht sein! Seit der Geizhalssepp
Ihm erst um Lichtmess den Gefallen that
Und sich zum Vesperbrod auf seinem Strohsack
Mit einem Hühnerbein die Gurgel einstiess,
Darf sich sein Päthling schon sein Süpplein schmälzeln!
Fünf alte Strümpfe, wie ein Weib sie trägt,
Mit Doppelkronen aus der Schwedenzeit,
Sind auch für unsereins kein Katzendreck.
Nur Schade, dass das Blech der Armenbüchs,
Noch niemals, wenn der Protz dran rumgeschielt,
„Schöndank“ geklimpert! Doch – was schwatz ich da!
Klaus Tom, der Fischer, der sein graues Netz
Nur noch zum Staat vor seine Thür gehangen,
Der seinen Türkenkopf mit Gold beschlug
Und Kümmel nur mit Pommeranzen trinkt,
Klaus Tom, der Glückspilz, geht bei Licht besehn
Euch ja noch wenger als die Müllersch an.
Die alte Müllersch, die mit Krücken wirft,
Und die der Pfundwirth immer Hexe schimpft!

Nicht wahr, Ihr wolltet doch nur wissen, Herr,
Was sich die alten Weiberzungen hier
Um Mitternacht, wenn Hans das Gruseln lernt
Und Grete näher an den Ofen rückt,
Was dann die alten Weiberzungen hier
Vom Teufelsteich sich in die Ohren zischeln?
Nun gut. So hört denn zu. Mein Grossohm Pankraz,
Der’s selbst mit angesehn, hat’s mir verbürgt.

Denkt Euch die Haide, die sich meilenweit
Nackt, braun und baumlos, dass das Herz Euch weh thut,
Wenn Ihr ans Waldgrün Eurer Heimath denkt,
Bis fernhin in den Horizont verliert.
Weiss durch die Silberpappeln um den Teich
Segelt ein Sommerfaden. Es ist Abend.
Schwarz liegt das Wasser da, schwarz wie die Sünde,
Und drüber, wie ein blutender Rubin,
Neigt sich die zauberhafte Blume…
Der Nebel, der phantastisch sie umwindet,
Rollt sich jetzt auf und ringelt wie ein Wurm
Sich weiss und langsam bis ins Dorf hinein.
Jetzt knarrt die Kirchhofsthür, ein Schlüssel dreht sich
Und auf die Christuskreuze tropft der Thau.
Der fahle Schwefelstreif im Westen stirbt,
Vom Wald her brüllt verirrt noch eine Kuh,
Und durch den dunkelblauen Himmel tropfen
Ihr Licht die Sterne. Alles still…
Nur dass der Nachtwind, der im Schlafe träumt,
Mal ab und zu mit seinen Flügeln schlägt,
Und dass die Unkenmuhme tief im Teich
Bisweilen ihre dumpfen Glocken läutet.
Da – plötzlich! schreit die alte Thurmuhr Zwölf
Und mitten aus dem schwarzen Rachen reckt
Sich weiss und lautlos in die dunkle Nacht
Ein nackter Frauenarm…
Das Wasser, das wie Mondlicht ihn umfliesst,
Ballt sich zu grossen, runden Tropfen, glitzert
Und rollt dann wieder langsam in die Fluth.

Indessen wächst der Arm und wächst und wächst.

Das Griechenweib, das einst Homer besang,
Und das noch heut als Vampyr durch die Nacht irrt,
Verkriechen müsst es sich vor seiner Schönheit,
Wenn er nicht – Krallen statt der Nägel hätte!

Indessen wächst der Arm und wächst und wächst.

Doch kaum, dass ihn die Sterne droben sehn,
So fängt ihr Licht auch schon zu flackern an,
Als ob sie’s eiskalt, wie ein Fieber packte,
Und mehr als einer zittert wie ein Kind,
Das nachts durch eine dunkle Stube gehn soll.

Indessen wächst der Arm und wächst und wächst.

Er wächst und wächst, bis seine Klaue schliesslich
Sich jäh und rund um den Orion klaftert,
Ihn knisternd aus dem blauen Himmel gräbt
Und mitleidslos den angstvoll Zitternden
Hinunter in die schwarze Tiefe krallt!
Dann reckt er wieder langsam sich empor,
Pflückt die Plejaden, löscht den Uranus
Mit einem Tupf drauf wie ein Windlicht aus,
Bringt den Saturn erst, dann die Venus um
Und ruht nicht eh’r von seinem grausen Handwerk,
Als bis er sich die lieben, goldnen Dinger,
Alle,
Bis auf den letzten! in den Sumpf gekrallt.
Doch der schreit auf, wie ihn das Unheil packt,
Die Morgennebel, die ums Schilf sich winden,
Umschleiern rosenroth den Sonnenaufgang
Und links vom Dorf herüber krähn die Hähne.
Nackt, braun und baumlos dehnt die Heide jetzt
Sich wieder fern bis in den Horizont
Und rund aus seinem Scherbengürtel gähnt
Der alte Tümpel, schwarz wie immer…
Doch wenn ein Sonntagskind vorüber geht,
Sieht’s roth und tellergross in seiner Mitte
Wie Blut durchs todte Wasser blitzen,
Und mitten wieder durch den Blutfleck schwimmen,
Die fleckigen Kadaver gelb gedunsen,
Drei todte Kröten…

Wenn sie mein Grossohm nicht, der alte Pankraz,
Mit seinen eignen Augen selbst gesehn,
Ich würde meine Dose hier drauf wetten,
Dass dieses Märlein nur ein Märlein ist!
Doch giebt’s ja manches, Herr, auf dieser Welt,
Was in den Katechismus schlecht hineinpasst.
Wozu soll also dies Histörchen hier
Durchaus erstunken und erlogen sein?
Die alte Müllersch beispielsweise hat,
Wenn sie betrunken Abends durch das Dorf trollt,
Schon manches vor sich in den Wind geschwatzt.
Was unsereinem sehr zu denken giebt.

Man munkelt so von einer Enkelin,
Die sie in alter, längstverschollner Zeit,
Als noch die Möbel krumm verschnörkelt waren
Und die Soldaten hinten Zöpfe trugen,
An unserm König seinen Ohm verschachert.
Demselben der – ich glaube, bei Kollin war’s –
Sich die Blessur links in den Arm geholt,
Als er mit seinen ungrischen Schwadronen
Die zwölfte Batterie zusammenritt.
Ihr kennt ihn, Herr, gewiss aus Euern Büchern
Den Prinzen Theodor! Gott hab ihn selig.

Der Schnurrbart hing ihm unter seiner Nase
Zu beiden Seiten wie ein schwarzer Pechdraht.
O, er sah forsch aus! Der Husarendolman,
Der roth um seine Schultern flatterte,
Wird Euch noch heut im alten Residenzschloss
Für einen Gulden vom Portier gezeigt.
Das dumme Mädel aber war zu jung,
Ich mein, zu jung, um nicht verrückt zu sein,
Warf ihm den golden Krimskrams vor die Füsse,
Spieh nachts wie toll ihm mitten ins Gesicht,
Riss sich den seidnen Plunder frech vom Leib
Und lief bei Nacht und Nebel auf die Haide.
Der Wenzel aber, den sie lieb gehabt,
Vor dem sie weinend auf den Knieen lag,
Der Wenzel lachte auf, wie ein Besessner,
Biss sich in die geballte Faust, schrie: Hure!
Und stiess den armen Klumpen Weib dann schliesslich
Mit seinem Fuss wie eine Hündin fort.

Drei Tage drauf fand Barthel Franz, der Wildrer,
Der grade Holz für seine Weiber stahl,
Den rothen Prinzen unter einem Ahorn.
Die Kugel war von einem Kreuz geritzt
Und ihm gerade durch die Brust gegangen.
Der Mussjöh Feldscheer, der mit seinem Wäglein
Ein Stündlein drauf aus Schöppstedt ankutschirt kam,
Hat nur die Achseln dazu zucken können.
Ja, wo der tolle Wenzel einmal zuschoss,
Da hat kein Pflästerchen mehr hacken wollen!
Das Blutgeld aber, das dann die Justiz
Noch selbgen Tags, auf seinen Kopf gesetzt,
Hat sich kein Christenmensch verdienen wollen.
Am Aschermittwoch war die Residenz
Vom Kärntnerthor bis an den Elsterplatz
Schwarz ausdrapirt wie ein Paradesarg,
Und am Charfreitag schwamm der Wenzel schon
Als Leichtmatrose nach Amerika.
Postmeisters Günter, den sein Corporal
So krumm genommen, bis er desertirt war,
Sah ihn in Boston dann als Seifensieder.
So Stücker zehn bis fünfzehn Jahre freilich
Mocht’s her sein, dass er ausgekniffen war!
Das arme Mädel, die Sabine aber
War unterdess in unsern Teich gesprungen. –

Doch lassen wir den alten Schnickschnack, Herr!
Das Kirchhofsgras, das über ihn gewachsen,
Wird, wenn es Zeit, auch über uns sich biegen.
Was? Teufel! Zeigt die Sonnenuhr schon Sieben? …
Pst! Still doch! Hört Ihr? Unser Altchen ruft schon!
Wenn wir noch länger diesen Zaun hier schief stehn,
Sperrt uns der Amtmann noch ins Spritzenhaus.
Vergesst auch dort nicht Euer Taschenbuch!
Und dieser Bleistift? Eurer? Na, denn kommt!
Doch lasst den Bauch Euch nicht zu heftig knurren:
‚S giebt heut nicht viel. Nur ein Kartoffelsüpplein!


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Gedichte Der Teufelsteich - Holz