Gedichte Warnung im Traume

In üppig lauter Residenz
Verschwelgt mit reicher Habe
Ein Jüngling seinen Lebenslenz;
Die Eltern ruhn im Grabe.

Die Mutter lag am Sterbepfühl
Mit matten Herzensschlägen,
Sie legte blaß und todeskühl
Die Händ ihm auf zum Segen.

Und sie verschwendet noch im Schmerz
Der Kräfte letzten Glimmer,
Daß nun das Kind ihr treues Herz
Verlassen soll auf immer.

Der Mutterliebe ewge Macht
Hält sie dem Sohn vereinet,
Wie mildes Mondlicht in der Nacht
Des Wandrers Pfad bescheinet.

Umschwebt sie auch im Geisterflug
Still segnend den Bedrohten,
Gewaltig ist der Sinnenzug,
Und kraftlos sind die Toten.

Sie sah, wie ’s letzte Röslein sich
Von seiner Wange stehle,
Und wie die Unschuld ihm verblich,
Die Rose seiner Seele.

Sie sah den Sohn die Sinnengier
Stets fesselnder umgarnen;
Ein Trost nur war geblieben ihr:
In Träumen ihn zu warnen.

Nach einem wildverbrausten Tag,
Verbuhlet und vertrunken,
Der Jüngling auf dem Bette lag,
Dem Schlafe heimgesunken.

Da träumt ihm, daß er abends irrt
Durch volkbelebte Straßen,
Wo manche Dirne lockend kirrt
Zu lüsternem Umfassen.

Schon wandelt der Laternenmann
Von Pfahl zu Pfahl und zündet
Dem Laster seine Sterne an,
Das hier sich sucht und findet.

Der Jüngling sieht ein lockend Weib
An ihm vorübergleiten,
Um deren üppig schlanken Leib
Sich Licht und Dunkel streiten.

Das Licht ihm wenig nur erhellt,
Die Lust nach dem zu wecken,
Was ihm das Dunkel vorenthält
Mit reizend schlauem Necken.

Er will den Reizen sein zu Gast,
Sie laden ihn so dringend,
Er eilt ihr nach, der Schritte Hast
Je mehr und mehr beschwingend.

Doch wie er nach der Dirne setz,
Er kann sie nicht erreichen,
Er sieht die Dunkle weiter stets
Und lockender entweichen.

Sie gleichet einem Nebelbild
Mit leisem, fernem Winken;
Sein Blick dem Sonnstrahl heiß und wild,
Den Nebel aufzutrinken.

Schon haben sie im raschen Zug
Die wache Stadt verlassen,
Und schon durchkreuzt ihr schneller Flug
Der Vorstadt öde Straßen.

Nur hier und dort ein Licht noch brennt
Bei Toten oder Kranken;
Und fort und fort die Dirne rennt,
Er nach mit giergem Zanken:

„Was rennst du, Tolle, so geschwind?
Wo steht dein süßes Lager?“
Da pfeift ums Ohr ein kalter Wind
Dem ungestümen Frager.

„Halt an, halt an die tolle Flucht!
Ich will dich fürstlich zahlen!“
Also der Jüngling fleht und flucht,
Schwerkrank an Wollustqualen.

Nun ist kein Haus zu schauen mehr;
Mit argbetroffnen Blicken
Sieht er nur Gräber rings umher
Und ernste Kreuze nicken.

Da wendt sie sich im Mondenlicht,
Zu seiner Qualgenesung:
Mit grauverwischtem Angesicht
Umarmt ihn – die Verwesung. –

Doch fuhr er kaum vom Schlummer auf,
Hat er den Traum versungen,
Und hat der wüste Lebenslauf
Ihn wiederum verschlungen.

Bald ward des Traumes kalte Braut
Am schweigenden Altare
Dem Jüngling wirklich angetraut,
An seiner Totenbahre.


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