Erster Auftritt
Polybius, der zurück kommt.
Himmel, was bedeutet dieses! Das Landgut des Seneka ist ringsum mit Kriegern besetzt. – Ich finde keinen Ausgang, wohin ich mich wende. – Gewiß ist es um des Redlichen Leben geschehen. Wenn du gerecht bist, o Gottheit! wenn du gerecht bist, so verstatte dieses Unglück nicht. Schone der größten menschlichen Tugend! Schone den, der auf der Welt dir am ähnlichsten ist! Verhänge über mich Schmerz und Elend, Verlust der Güter, Gefangenschaft und Verweisung und alles Unglück; nur laß Seneka leben! – Der große Seneka, das Bild aller menschlichen Vollkommenheiten, soll von der Hand eines Verruchten erblaßen. – Welch ein Gedanke für mich! Wie werde ich des Tages Licht ertragen können, wenn er nicht mehr seyn wird. Gedanke, der mich mit Schrecken und Verzweiflung erfüllet, und –
Zweeter Auftritt
Ein Hauptmann des Fabius, nebst der Wache, und Polybius.
DER HAUPTMANN: Bist du Seneka?
POLYBIUS Die ersten Worte bey Seite.: Er kennt mich nicht! – Ich bins; ich bin der, den du suchst.
DER HAUPTMANN: Der Kayser hat den Heerführer Fabius Befehl ertheilet, den Tod dir anzukündigen, und Fabius hat es mir aufgetragen. Du weißt, daß ich dich suche, du wirst auch dein Verbrechen, die Ursachen deines Todes wißen.
POLYBIUS: Die Ursachen meines Todes weis ich: Nero ist ein Tyrann, und ich habe es ihm gesagt. Meine Verbrechen weis ich nicht. Ich sterbe gern. Mein Gewißen klagt mich nicht an, und der Tod ist mir erträglicher als die beständige Furcht des Todes, worinn der Grausame alle Redliche und Edelgesinnte von Rom unterhält; erträglicher als der Schmerz, den ich schon zu lange über die Unterdrückung und das Elend der Rechtschaffnen empfinde. – Sage Nero, daß er ein Wütrich ist! Sage ihm, daß ich mir einen Ruhm daraus mache, auf sein Geheiß zu sterben, da noch kein Bösewicht durch ihn das Leben verlohren. Glückseeliges Rom, wenn ich der letzte Unschuldige bin, den er hinrichtet! – bey Seite Ach wäre ich der letzte! Ach möchte sich Seneka verbergen, und nachdem der Hauptmann zu Nero zurückgekehrt, sich mit der Flucht retten! – – Aber warum hat der Heerführer Fabius mir nicht selbst den Tod angekündiget? Warum gebraucht er dich zu einem so unbarmherzigen Geschäfte?
DER HAUPTMANN: Ich weis nicht, warum er dir den Tod nicht selbst angekündiget. Mich aber gebraucht er dazu, weil ihm meine Treue gegen den Kayser bekannt ist. Man ist nicht unbarmherzig, wenn man sich gegen Verbrecher gebrauchen läßt. Du hast den Tod schon durch das, was ich höre, verdient.
POLYBIUS: Nichtswürdiger! Nero hat die Strafe des Himmels und den Abscheu der Welt verdienet, und diejenigen, die ihm in seinen Bosheiten treu sind, Marter, Verachtung und Schande. – Bösewicht! baue nur dein Glück auf den Gehorsam gegen einen Unsinnigen! Er belaste dich mit seiner Gnade und erfülle dich mit seinen schwarzen Freuden! Aber wiße: Hohn und Schande wird dir auf dem Fuße folgen, und der Zorn des Himmels wird über dich kommen, wie eine Überschwemmung. – – Und was für eine Todesart hat mir der Grausame auferlegt?
DER HAUPTMANN: Verräther! Der Kayser ist nur zu gnädig; er überläßt sie deiner Wahl. Ich –
POLYBIUS: Meiner Wahl? er entblößt die Brust Hier ist die Brust! Erstich mich, und eile dem Kayser, dem Mörder, die frohe Nachricht von meinem Tode zu überbringen. – Erstich mich, Feiger!
Dritter Auftritt
Seneka und die Vorigen.
SENEKA: Welch ein Auftritt! Was willst du, Polybius?
POLYBIUS: Sterben!
DER HAUPTMANN: Er will nicht sterben, der feige Seneka! Aber er muß sterben! Nero und Fabius haben ihre Befehle keinem Schwachen, keinem Weichlinge anvertraut. –
SENEKA: Wenn Seneka sterben soll, so muß ich sterben, und nicht Polybius. Ich bin Seneka!
EIN SOLDAT zu dem Hauptmanne. : Dieser ist Seneka, und nicht der erstere, der sich für Seneka ausgab. Ich kenne ihn, und habe ihn oft bey dem Kayser auf dem Kapitol gesehen.
DER HAUPTMANN: Wunderbare Verwirrung! Schon war ich bereit, mein Schwert in den Busen des falschen Seneka zu stoßen – Doch es wäre nur von dem Blute eines Unrechten gefärbt worden, aber nicht von dem Blute eines Unschuldigen. Sie sind beyde Feinde des Kaysers. zum Polybius Aber was für ein Unsinn bewegt dich, den Tod zu suchen? Durch deine treulose Gesinnungen gegen den Nero, wirst du ihn finden, ohne ihn zu suchen.
POLYBIUS: Laß ihn mich finden, Grausamer! Laß ihn mich finden! Er ist mir nicht furchtbar. Aber furchtbar ist mir der Tod des tugendhaften Seneka. Schone diesen Gerechten, diesen Freund des Kaysers! der sein ganzes Leben und seine Glückseeligkeit dem Wohle des Nero und des Vaterlandes aufgeopfert hat, und es noch thun wird. Schone ihn, wenn du das sanfte Gefühl des Mitleidens und die Pflichten kennest, womit du der Welt und Rom verbunden bist. – – Diese einzige edle That wird dich glücklicher machen, als alle Ehren und Reichthümer der Welt. Das Angedenken derselben wird dich, dein ganzes Leben durch, begleiten, und dir ein Schild seyn gegen Elend und widrige Zufälle.
DER HAUPTMANN: Mein Glück hängt von meinem Gehorsam ab. Seneka muß sterben. Ich bin nicht befehligt, seine Schuld oder Unschuld zu untersuchen; aber ihm den Tod – –
POLYBIUS: Glaube der Stimme Roms, wenn du mir nicht glaubst! Rom kennt seine Unschuld und fordert sein Leben – Vergeblich, o Niederträchtiger, machst du dir Hoffnung, durch Bosheit groß zu werden. Der baldige Fall deines tyrannischen Abgotts wird dich erdrücken, du –
SENEKA: Entrüste dich nicht, Polybius! Laß mich sterben. Zu was für Ausschweifungen verleitet dich deine Freundschaft gegen mich! Wie wäre es mir ergangen, wenn du, statt meiner, das Leben verlohren hättest. Ich hätte den Tod nicht gemieden, sondern ihn zehnfach gefühlt. Ach Freund, ach Redlichster unter den Sterblichen! Deine Freundschaft ist mir zum erstenmale zur Last. Ich kann dir meine Schuld nicht bezahlen, so gern ich es wollte! Wie viel vergnügter würde ich sterben, wenn ich nur deinetwegen sterben könnte, und nicht weil es Nero befiehlt! – – Ach laß mich sterben, und erhalte du dein Leben zur Wohlfahrt der Welt. Es ist unedel, das Leben zu verachten, so lange man der Welt Nutzen schaffen, und glücklich seyn kann. Laß diejenigen es verachten, die Alter und Unglück zu Boden drückt, oder die es auf Befehl grausamer Regenten hingeben müßen. –
DER HAUPTMANN: Verachte es also! Du mußt es hingeben. Wähle dir eine Todesart nach eigenem Gefallen. Verachte es – –
SENEKA: Ich will deine und deines Kaysers Freude nicht verzögern. Erlaube nur, daß ich von meinen anwesenden Freunden Abschied nehmen darf.
Sie gehen, ab.