Gedichte Das abgeschiedene Kind an seine Mutter

Zu Weihnacht

O, meine Mutter, schwer war unser Scheiden,
Drum muß ich mich noch einmal zu dir wenden,
Dich zu beschwichtigen in deinem Leiden!
Und ob mich auch die tausend Sonnen blenden,
Die still und groß an mir vorüber wallen,
Doch find‘ ich sie, der sie die Stralen senden, –
Die Erde noch heraus, die dämmernd-kleine,
Die, sonst verschwimmend in den blauen Hallen,
Jetzt heller aufglänzt, wie im eig’nen Scheine,
Denn fröhlich sind der Menschen Angesichter,
Und keines ist verdüstert, als das deine!
Die Kinder hüpfen um die Weihnachtslichter,
Die ihre Mütter ihnen angezündet,
Du siehst es und verhüllst dich dicht und dichter.
Ich aber will, geheimnißvoll verbündet
Mit meines Vaters Geist, nicht von dir lassen,
Bis ich das Wort der Worte dir verkündet,
Das, kannst du’s auch nicht ungestorben fassen,
Doch all dein Sinnen fesselt und dein Denken,
Bis es sich ganz dir aufschließt im Erblassen.
Ich will in meinen Vater mich versenken,
Ich will mein tiefstes Ahnen ihm entdecken,
Ich will ihm Bilder und Gedanken schenken,
Die selbst vor einem Dichter sich verstecken.
Und faßt er sie so wenig, wie die Harfe
Den Ton, den Abendlispel in ihr wecken,
So wird er doch nach innerstem Bedarfe
Sie fromm in deine Brust hinüber leiten,
Dann lös’t in ihr der Mißlaut sich, der scharfe,
Da ew’ge Harmonieen ihn bestreiten.

O, had’re nimmer mit den Urgewalten,
Die, ruhig thronend über alle Zeiten,
In festen Händen jeglich Schicksal halten!
Des Lebens Schönheit wollt‘ ich dir erschließen,
Des Todes Schrecken mußt‘ ich dir entfalten,
Die ird’schen Wonnen brannt‘ ich, zu genießen,
Doch zu den höhern ward ich abgerufen.
Dir war, als sähst du mich in Nichts zerfließen,
Als mich’s erhob zur letzten aller Stufen,
Ich selber sträubte mich, obgleich mein Beben
Und Säumen einzig so viel Qual mir schufen.
Ich glich in meinem eitlen Widerstreben
Dem Eingekerkerten, der das Gefängniß,
Wenn es zusammenstürzt in Windes Weben,
Nicht lassen will in seines Herzens Bängniß,
Es fällt kein Stein, der ihm nicht Wunden schlüge,
Bis er entspringt, dann faßt er das Verhängniß
Und thut im Freien frische Athemzüge.
Mir war, wie ich da lag in meinen Wehen,
Als könnt‘ ich’s nie verwinden, was ich trüge;
Jetzt ist es mir, als wär’s mir nie geschehen,
Und, wie du meines Friedens reine Fülle,
So kann ich deinen Schmerz nicht mehr verstehen.
Mich schaudert’s vor der abgeworf’nen Hülle,
Auch fürchte ich, es würde dich nicht heilen,
Sonst zeigte ich in mitternächt’ger Stille
Mich, wie ich war, in Träumen dir zuweilen.
Jetzt hält ja keine Form mich mehr gefangen,
Kann ich auch jede, wolkengleich, zertheilen,
Ich bin, was meinem innersten Verlangen
Entspricht, und bin’s nicht mehr, sobald mich ekelt,
Wer alle, bis zur höchsten, durchgegangen,
Der wird in keine wieder eingehäkelt,
Er wird, und ob’s ihn auch noch rückwärts triebe,
Doch nicht mehr schnöde an den Staub vermäkelt.

Denn, alles Leben ist gefror’ne Liebe,
Vereis’ter Gottes-Hauch, in tausend Flocken
Erstickt, und Zacken, d’rin er starren bliebe,
Wenn nicht, obgleich die Wechselkräfte stocken,
Im Tiefsten ihn ein dunkler Drang erregte,
Ihn fort und immer weiter fort zu locken,
Bis er den Kreis, in dem er sich bewegte,
Den weitern Ring stets um den engern tauschend,
Zurück bis auf der Ringe letzten legte,
Und nun, hinaus in’s Unbegränzte lauschend,
Dem Odemzug, durch den sich Gott die Wesen
Einst wieder mischt, in Ahnung sich berauschend,
Entgegen harrt, mit Guten und mit Bösen,
Die sich auf Erden darin unterschieden:
Daß jene, groß und klar, sich als erlesen
Von Gott erkennend, ihm sich schon darnieden
Entgegen drängten aus der todten Zacke,
Wenn diese, dumpf und klein, zu ew’gem Frieden
Sich gern verschlossen hätten in die Schlacke,
Damit er, den sie nur mit Schaudern ahnten,
Sie nicht, vorüber wandelnd, plötzlich packe!
O daß sich, die noch leben, hieran mahnten,
Und so, durch eig’ne Kraft heraus sich schälend,
Den Weg zur Welt – und Selbst-Erlösung bahnten!
Denn, auf den Letzten, wie den Ersten, zählend,
Kann Gott das Liebeswerk erst dann vollbringen,
Wenn dieser auch, sich mühsam aufwärts quälend,
Gekräftigt ist, mit uns empor zu dringen.
So lange aber müssen wir’s entbehren,
Und ob Aeonen noch darob vergingen.
Auch wird uns erst der Uebergang erklären,
Wozu im Ewig-Einen dies Zersplittern;
Ob einzig, um das Böse zu verzehren,
Das, wenn es sich in tausend Ungewittern
Entlud, vor seiner eig’nen Ohnmacht endlich
Erschrecken wird und still in sich zerzittern;
Ob mit, weil Gott, sich selber unverständlich,
Wie unser Geist in Worte, in Figuren
Zerfließen mußte, um sich dadurch kenntlich
Zu werden, und aus allen Signaturen
Die eigene zusammen sich zu stellen,
So daß die Welt, trotz ihrer finstern Spuren,
Ihm Fackel war, sein Inn’res aufzuhellen,
Und daß nicht uns’re Schuld, nur sein Bedürfen
Den Gegensatz, dem Trotz und Haß entquellen,
Hervor rief, der nach mystischen Entwürfen
Uns, die wir leiden, quält, als ob wir thäten,
Um so, indem wir all sein Bitt’res schlürfen,
In uns ihn, bis zur Wurzel auszujäten
Und das Geheimniß erst zu offenbaren,
Wenn wir zurück in ihn, den Urgrund, treten
Und wieder werden, was wir einst schon waren,
Den Tropfen gleich, die, in sich abgeschlossen,
Doch in der Welle rollen, in der klaren,
So rund für sich, als ganz mit ihr verflossen.


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